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30 Jahre nach dem Mauerfall: Hier boomt die ostdeutsche Wirtschaft

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Die Gläserne Manufaktur von VW in Dresden, ein Zentrum der E-Mobilität.

Diesen November jährt sich der Fall der Mauer zwischen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zum dreißigsten Mal. Dreißig Jahre, in denen viel passiert ist, in denen sich Ost und West in vielen Bereichen angenähert haben – und dennoch gibt es teils immer noch gravierende Unterschiede zwischen den ‚alten‘ und ‚neuen‘ Bundesländern. Mit einem Blick auf die Entwicklung der Bevölkerungszahlen, den Wohlstand und das politische Klima lässt sich auch knapp dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung eine teils deutliche Spaltung feststellen. Auch die Wirtschaft ist betroffen: Viele ostdeutsche Firmen tun sich bis heute schwer; es wird von fehlenden Arbeitskräften, fehlenden Innovationen, fehlenden Investitionen und fehlenden Anreizen gesprochen.

Doch die Ost-West-Kluft ist bei weitem nicht mehr so groß wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Wie sich die Lohnlücke entwickelt und wie einzelne Bundesländer und Städte dastehen, haben sich unsere Kollegen von Gehalt.de näher angeschaut. In einigen ostdeutschen Städten wie beispielsweise in Jena oder Dresden liegen das Einkommensniveau und die Produktivität sogar über dem Bundesdurchschnitt. Im Osten läuft also nicht alles schlecht.

In welchen Branchen die ostdeutsche Wirtschaft führend ist, in welchen Städten besonders innovativ gearbeitet wird und wie es um die Arbeitsmöglichkeiten in strukturschwächeren Gegenden steht, betrachten wir in diesem Artikel.

Die Optikindustrie wächst: Jena als herausragender Hightech-Standort

Die Stadt Jena ist mit rund 111.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Thüringens. Bekannt ist sie zum einen durch die Friedrich-Schiller-Universität und zum anderen für die wirtschaftlich florierende Optikindustrie. Jena, auch bekannt als Lichtstadt, ist das international führende Zentrum für Optik und Photonik. Mehr als einhundert Unternehmen der Branche haben ihren Sitz in Jena und der Region drum herum, darunter die global agierenden Firmen ZEISS, SCHOTT und Jenoptik.

ZEISS wurde 1846 in Jena gegründet und hat dort seither seinen Hauptstandort. Mittlerweile ist ZEISS in fast fünfzig weiteren Ländern vertreten. Als weltweit führendes Technologieunternehmen der optischen Industrie trägt ZEISS einen erheblichen Anteil zur Wirtschaft Thüringens bei. Auch in den Bereichen Digitalisierung, Industrie 4.0 und Innovationen gestaltet ZEISS die Zukunft der Optikbranche entscheidend mit. Mehr als 2.200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden derzeit in Jena beschäftigt – Tendenz steigend. Die Wirtschaftskraft von ZEISS wächst: Derzeit wird an einem neuen ZEISS-Areal gearbeitet, welches 2023 fertiggestellt werden soll. Mehr als 300 Millionen Euro werden schätzungsweise in den Neubau investiert und 2.500 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Investitionen in den Standort Jena zeigen das Potenzial der ostdeutschen Stadt. Damit Jena für Arbeitnehmer, Fachkräfte und Wissenschaftler noch attraktiver wird, wird bereits über infrastrukturelle Verbesserungsmöglichkeiten für die Region diskutiert.

Der SCHOTT-Konzern gehört, wie die ZEISS-Gruppe, zur Carl-Zeiss-Stiftung. Auch SCHOTT ist ein international führender Technologiekonzern, spezialisiert auf die Bereiche Spezialglas und Glaskeramik. Die SCHOTT AG wurde 1884 in Jena gegründet und beschäftigt dort derzeit rund 400 Mitarbeiter. Der Hauptsitz der Firma wurde 1952 nach Mainz verlegt. Auch SCHOTT besitzt wie ZEISS ein breites Produktportfolio von verschiedenen Spezialgläsern und Glaskeramiken. Das Werk in Jena ist auf Brandschutzglas spezialisiert.

Auch das Unternehmen Jenoptik mit Hauptsitz in Jena trägt maßgeblich zur Wirtschaftskraft der Stadt bei. Der Technologie-Konzern ist ein wahrer Global Player im Bereich der Photonik und ist in mehr als achtzig Ländern präsent. Weltweit werden ca. 4.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt. Auch in Berlin, Triptis und Eisenach ist Jenoptik mit verschiedenen Tochterunternehmen vertreten.

Weitere kleine und mittelständische Unternehmen sind weltweite Marktführer, sogenannte Hidden Champions, in den Bereichen Optik, Medizintechnik, Biotechnologie oder Präzisionstechnik. Die Stadt Jena ist zweifelsohne eine Hochburg moderner Technologie. Neben zahlreichen Unternehmen aus der Optikbranche gibt es in der Region um Jena mehrere Forschungseinrichtungen, in denen Wissenschaftler und Entwickler an neuen optischen Technologien forschen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft trägt maßgeblich zum Erfolg und zur Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Jena bei.

Durchschnittliches Bruttogehalt bei 40 Wochenstunden

Silicon Saxony: Spitzentechnologien in und um Dresden

Auch Dresden gehört zu den wachstumsstärksten Regionen im Osten. Mehrere international agierende Hightech-Unternehmen aus verschiedenen Branchen haben ihren Standort in der sächsischen Landeshauptstadt. Dresden als Wirtschaftsstandort birgt eine Menge Potenzial. Innovation und neue Technologien werden in Dresden großgeschrieben und junge Technologie-Unternehmen werden durch Innovationsförderprogramme unterstützt. Unter anderem werden folgende Branchen in und um Dresden besonders gefördert:

Beispielsweise im Bereich der Softwareindustrie sind in Dresden mehrere international agierende Firmen angesiedelt, darunter T-Systems MMS, SAP und Amazon sowie zahlreiche Start-ups. Darüber hinaus ist Dresden Europas größter Mikroelektronik-Standort. Das Mikroelektronik-Cluster besteht aus über 2.300 Unternehmen. Jeder zweite in Europa gefertigte Mikroelektronik-Chip stammt aus Dresden. Und die Branche wächst: Im Frühjahr 2020 sollen in der neuen Halbleiter-Fabrik von Bosch die ersten Mikrochips gefertigt werden. Bis zu 700 Mitarbeiter sollen in dem neuen Werk beschäftigt werden. Für den Bau der neuen Fabrik waren auch Standorte wie New York oder Singapur im Gespräch – doch die Landeshauptstadt konnte sich aufgrund ihres einmaligen und innovativen Clusters durchsetzen. Somit baut Dresden seine Position als europaweit führender Hotspot für Mikroelektronik weiter aus.

Die ‚ostdeutsche‘ Automobilindustrie setzt auf E-Mobilität

Sachsen zählt mit rund 95.000 in der Automobilindustrie arbeitenden Personen zu einem der wichtigsten deutschen Standorte der Branche. Jedes achte in Deutschland produzierte Auto wird in Sachsen hergestellt. Die Werke von Porsche und BMW in Leipzig verfolgen dabei eine Mischstrategie: In den Werken werden sowohl Autos mit Verbrennungsmotoren als auch Fahrzeuge mit Elektromotoren produziert. Beispielsweise wird im Porsche-Werk Leipzig derzeit der kürzlich eingeführte Porsche Taycan – das erste vollelektrische Auto von Porsche – hergestellt.

Neben den Produktionswerken von Porsche und BMW in Leipzig ist vor allem VW in Sachsen präsent. Die Volkswagen Sachsen GmbH zählt mit über 10.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu den umsatzstärksten Unternehmen in Sachsen. Während in Zwickau und Chemnitz diverse Fahrzeuge und Motoren hergestellt werden, konzentriert sich die Gläserne Manufaktur in Dresden auf die Entwicklung und Herstellung des e-Golfs. Mehr als 380 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sorgen dort dafür, dass etwa 74 e-Golfs täglich in Dresden hergestellt werden. Auch der Blick in die Zukunft scheint vielversprechend: In den nächsten zehn Jahren will Volkswagen siebzig neue E-Modelle entwickeln und auf den Markt bringen. Davon sollen neben Dresden auch weitere Standorte im Osten, z. B. Zwickau, profitieren. Zudem entwickelt sich die Gläserne Manufaktur zunehmend zu einem Center of Future Mobility. Interessierte Kunden können dort Elektrofahrzeuge live erleben und sich zu Probefahrten anmelden.

Jüngst wurde in der Gläsernen Manufaktur ein Start-up-Inkubator errichtet. Der Start-up-Inkubator ist ein spezielles Förderprogramm, welches an innovative Gründerinnen und Gründer im Bereich Future Mobility gerichtet ist. Mittlerweile sind sechs Start-ups Teil des Programms und entwickeln in der Gläsernen Manufaktur innovative Mobilitätskonzepte.

Lehre mit Qualität: Universitäten im deutschen Osten

Niedrige Lebenshaltungskosten, häufig niedrige NCs, gute Studienbedingungen, eine hervorragende Vernetzung von Wirtschaft und Forschung und nicht zuletzt die ausgezeichnete Qualität der Lehre: Diese und weitere Gründe ziehen Studierende und Wissenschaftler vermehrt in den Osten Deutschlands. Die Zeiten, dass ostdeutsche Universitäten ein negatives (politisch geprägtes) Image hatten, gehören meist der Vergangenheit an.

Vor allem die technischen Hochschulen in Dresden, Cottbus, Chemnitz und Freiberg sind sowohl für ihre qualitativ hochwertige Lehre und hervorragende technische Ausstattung als auch für ihre herausstechende Praxisnähe bekannt.

Die TU Dresden verfügt beispielsweise über 129 verschiedene Studiengänge – von Germanistik über Ingenieurwissenschaften bis zu Geo- und Hydrowissenschaften. Die enge Zusammenarbeit mit externen Forschungsinstituten wie dem Max-Planck-Institut oder der Fraunhofer-Gesellschaft macht die Hochschule besonders attraktiv. Die TU Dresden gehört zur Forschungselite in Deutschland.

Die Technische Universität Chemnitz sticht durch ihr Bundesexzellenzcluster MERGE im Bereich der Leichtbauforschung heraus. Das Cluster bündelt Expertenwissen und befasst sich mit der ressourcenorientierten Herstellung von Leichtbaustrukturen sowie der Nutzung von erneuerbaren Rohstoffen in diesem Kontext.

Auch die Friedrich-Schiller-Universität in Jena steht in Sachen Lehre, Praxisbezug und Lebensqualität den Universitäten im Westen in nichts nach. Rund die Hälfte aller Studienfächer können in Jena NC-frei studiert werden. Auch die enge Verzahnung von externen Forschungseinrichtungen mit der Universität ist bemerkenswert. Jena ist zum einen eine Studentenstadt und zum anderen ein wichtiger und bedeutender Forschungs- und Wirtschaftsstandort: Bezogen auf die Einwohnerzahl weist Jena in Deutschland die höchste Dichte von Forschungseinrichtungen auf. Die Carl-Zeiss-Stiftung stiftete der Universität jüngst 18,4 Millionen Euro für den Bau eines Kommunikationszentrums, wodurch „neue Freiräume für den wissenschaftlichen Austausch und interdisziplinäre Begegnung“ geschaffen werden sollen. Dadurch soll die Vernetzung zwischen Stadt, Universität, Unternehmen und Wissenschaft weiter gefördert werden.

Arbeiten und Leben in strukturschwachen Gegenden

Wie in den oberen Kapiteln deutlich wurde, sind in Städten wie Dresden, Leipzig oder Jena wirtschaftliche Erfolgsgeschichten möglich, ja sogar weit verbreitet. Global Player, Marktführer und innovative Start-ups haben ihre Standorte in den ostdeutschen Großstädten. Doch wie sieht es in den strukturschwächeren Regionen aus? Vor allem im ländlichen Raum scheint es wirtschaftlich immer schwieriger zu werden. Junge Arbeitnehmer wandern zunehmend in die Städte ab. Auch die Politik ist zwiegespalten: Einige Politiker fordern, die Fördermaßnahmen nur auf die Städte zu konzentrieren, da dort das Wachstumspotenzial am größten sei. Denn Fachkräftemangel, niedrige Löhne und eine schlechte Infrastruktur machen ländliche Regionen sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer unattraktiv. Andere Stimmen sprechen sich wiederum für eine stärkere Förderung der ländlichen Regionen aus, um eben genau diese Missstände zu beseitigen.

Laut einer Prognose des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung wird aus den ländlichen Kreisen des deutschen Ostens bis zum Jahr 2035 mehr als jeder fünfte Einwohner abwandern. Der Bevölkerungsrückgang soll in Sachsen-Anhalt und Thüringen besonders dramatisch ausfallen. Auch in diesem Bereich zeigt sich die Stadt-Land-Schere: Während die Einwohnerzahlen in ländlichen Gebieten sinken, steigen sie in Städten wie Magdeburg, Leipzig, Jena, Rostock oder Dresden.

Fazit: In welche Richtung entwickelt sich die Wirtschaft im deutschen Osten?

Die ostdeutsche Wirtschaft ist geprägt von krassen Unterschieden. Während Städte wie Dresden oder Leipzig immer attraktiver werden, fehlt es in ländlicheren Regionen an Arbeitskräften. Die Abwanderung in die Städte treibt Unternehmen auf dem Land in eine Abwärtsspirale. Durch den Rückgang der Einwohnerzahlen fehlt es Unternehmen an potenziellen Arbeitnehmern, wodurch die Unternehmen nicht wettbewerbsfähig bleiben können. Dies wiederum führt dazu, dass die Firmen keine ausreichend hohen Gehälter zahlen können, um wieder mehr Menschen in ländlichere Regionen zu locken. Auch neuen Unternehmen fehlt somit der Anreiz, sich auf dem Land niederzulassen.

Auf der anderen Seite gibt es in den ‚neuen Bundesländern‘ international erfolgreiche Unternehmen wie ZEISS, SCHOTT und die Uhrenmanufaktur Glashütte, die die Wirtschaft ankurbeln. Eine Prognose des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) beziffert das aktuelle Wirtschaftswachstum des Ostens auf ein Plus von 1,0 Prozent. Im Vergleich wächst die Wirtschaft in Westdeutschland lediglich um 0,5 Prozent. Auch im kommenden Jahr soll die Wirtschaft in Ostdeutschland stärker wachsen als im Westen: Das Institut prognostiziert im Westen ein Wachstum von 1,1 Prozent und im Osten (einschließlich Berlin) von 1,3 Prozent. Vor allem die starke Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft prägt die ostdeutschen Regionen. Auch die Start-up-Szene wird durch Fördergelder und weitere Anreize immer weiter ausgebaut. Niedrigere Lebenshaltungskosten und eine starke Verbindung zu Universitäten und Instituten locken immer mehr Start-ups ins Silicon Valley des Ostens. Hier sind die Aussichten rosig: Die Region Dresden könnte in Sachen Mikroelektronik das werden, was Jena im Bereich der Optik bereits ist – Weltspitze.

Die Arbeits- und Karriereperspektiven in den ländlicheren Regionen hingegen sind ungewiss. Politiker streiten darüber, ob es sich überhaupt lohnt, in ländliche ostdeutsche Regionen zu investieren. Dies nicht zu tun wäre jedoch ein fataler Fehler, denn nicht alle Menschen leben gerne in der Stadt bzw. können dort leben. Auch der ländliche Raum muss wirtschaftlich attraktiv werden – für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Darüber hinaus wird in Zeiten des digitalen Wandels die Arbeit immer losgelöster von Zeit und Raum. Der Trend geht zum agilen Arbeiten, zur örtlichen Unabhängigkeit. Es wird nicht lange dauern, bis sich auch traditionellere Unternehmen an diese neuen Arbeitsformen anpassen (müssen). Die günstigeren Mieten und Lebenshaltungskosten sowie die Ruhe und Natur könnten dadurch ländliche Gegenden wieder attraktiver machen, auch für junge Menschen – und damit hoffentlich auch wieder für Unternehmen.

Quellen:

Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Idw Nachrichten

Jenoptik

MDR

Tagesspiegel

TU Chemnitz

Volkswagen Sachsen

Zeiss

ZEIT ONLINE