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Kommt jetzt die 28-Stunden-Woche? Die Entwicklung der Arbeitszeit in Deutschland

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Industriearbeiter an Maschine

Die Gewerkschaft IG Metall, die in früheren Jahren häufig ein Vorreiter in Sachen Verkürzung der tariflich festgelegten Wochenarbeitszeit war und damit oftmals auch wichtige Impulse für andere Branchen gab, macht pünktlich vor der Eröffnung der nächsten Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie mit neuen Forderungen Schlagzeilen. Viele Medien berichten aufmerksamkeitsheischend von der geforderten 28-Stunden-Woche, was aber genau dahintersteckt und was das Schlagwort „28-Stunden-Woche“ tatsächlich meint, kommt dabei häufig zu kurz.

Wird aus der 35-Stunden-Woche jetzt die 28-Stunden-Woche?

Ganz so einfach ist es nicht. Die IG Metall verlangt keineswegs eine Reduzierung der tariflich festgelegten Arbeitszeit von 35 auf 28 Stunden pro Woche. Die Gewerkschaft fordert lediglich, dass jeder tarifliche Arbeitnehmer das Recht bekommt, seine Arbeitszeit unbegründet für die Dauer von 2 Jahren auf 28 Stunden pro Woche zu reduzieren UND – und das ist der hauptsächliche Unterschied zur aktuellen gesetzlichen Situation ¬– hinterher wieder Anspruch auf seine Vollzeitstelle hat.

Das ist übrigens ein Modell, das in der gerade zu Ende gegangenen Legislaturperiode auch im Bundestag beraten wurde und sogar im Koalitionsvertrag stand. Im Mai 2017 scheiterte es letztlich am Veto der Union aus CDU und CSU, die diesen Koalitionsvertrag allerdings auch unterschrieben hatte. Eine sogenannte befristete Teilzeit könnte also längst gesetzlich fixiert sein. Gut möglich, dass diese Neuerung nur aufgeschoben ist, denn die Union hat sich dieses Gesetz als Ziel ins Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 geschrieben. In der aktuell wahrscheinlichsten Regierungskonstellation, der sogenannten Jamaika-Koalition, wären auch die Grünen für die Verabschiedung dieses Gesetzes. Und somit wäre, zumindest auf dem Papier, nur die FDP dagegen. Die Chancen für ein Gesetz zur Rückkehr aus der Teilzeit dürften in der Theorie also nicht so schlecht stehen.

Politikzweifler könnten jetzt sagen, die IG Metall wolle sich nicht darauf verlassen, dass das Recht auf befristete Teilzeit auch tatsächlich komme und es durch Aufnahme in den nächsten Tarifabschluss zumindest für die knapp vier Millionen Beschäftigten sichern, die vom Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie abhängig sind. Dies allein kann jedoch nicht der Grund sein. Denn die Forderungen der Metaller-Gewerkschaft gehen noch einen Schritt weiter. Wer nämlich die vorübergehende Teilzeit nicht zum eigenen Vergnügen oder zur Selbstverwirklichung nutzt, sondern zur Betreuung von unter 14-jährigen Kindern, zur Pflege eines Angehörigen, zur Weiterbildung oder aber in belastenden Arbeitszeitmodellen wie der Schichtarbeit tätig ist, soll vom Arbeitgeber einen finanziellen Zuschuss erhalten. Dabei geht es der Gewerkschaft besonders um die unteren Einkommensebenen, damit diese nicht aus finanziellen Gründen auf die Inanspruchnahme der befristeten Teilzeit verzichten. Denn eins ist klar: Wer nur 28 Stunden arbeitet, soll eigentlich auch nur für diese 28 Stunden bezahlt werden, müsste also für die befristete Teilzeit anteilig auf Gehalt verzichten.

Berufliche Flexibilität mal andersrum

Für die IG Metall ist das vorgeschlagene Teilzeitmodell eine Möglichkeit, die von Arbeitgeberseite stets geforderte Flexibilität der Arbeitszeiten auch mal zugunsten der Arbeitnehmer zu gestalten. Schließlich hätten diese durch ihre eigene Flexibilität zum anhaltenden Aufschwung der Branche erheblich beigetragen und in diesem Zuge die eigene Gesundheit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hintangestellt. Die Finanzspritze für die Geringverdiener während der befristeten Teilzeit sieht die Gewerkschaft als angebrachte Sozialleistung.

Die Bedenken der Arbeitgeberseite und Wirtschaftsverbände

Die Forderungen der IG Metall lassen bei den Arbeitgeberverbänden die Alarmglocken schrillen. Und das gar nicht primär wegen der Bezahlung; wovor viele Unternehmen am meisten Angst zu haben scheinen, ist die befristete 28-Stunden-Woche. Hier befürchtet man wohl, dass durch die Rückkehr-Garantie mehr Arbeitnehmer ihr Teilzeit-Recht in Anspruch nehmen könnten. Denn das würde bedeuten, dass diese Ausfälle fachgerecht nachbesetzt werden müssten – zumindest für die Dauer der Teilzeit. Schließlich wird die Arbeit nicht weniger und dass die anderen Mitarbeiter durch Mehrarbeit den Ausfall auffangen, kann auch nicht Sinn der Sache sein. Wenn es nach der IG Metall geht, soll dies sogar explizit ausgeschlossen werden. Denn die Gewerkschaft drängt auch darauf, dass die bestehende 35-Stunden-Woche für Vollzeitmitarbeiter nicht nur auf dem Papier existiert, sondern in die Tat umgesetzt wird. Hieße im Umkehrschluss, dass noch mehr Arbeitsstunden, die bisher durch Überstunden der Stammbelegschaft kompensiert wurden, durch neue Mitarbeiter geleistet werden müssten.

Für die Arbeitgeberseite stellen (vorübergehende) Nachbesetzungen aus mehreren Gründen ein Problem dar. Zum einen bedeuten Personalsuche und die Verwaltung einer höheren Mitarbeiterzahl mehr Aufwand für die Personalabteilungen sowie erhöhte Lohnkosten, zum anderen – und das ist das Hauptargument des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall – herrscht nach deren Aussage bereits jetzt ein Fachkräftemangel, besonders in Industrie und Handwerk. Die Auftragsbücher der Unternehmen seien voll und das dringend notwendige Fachpersonal nicht verfügbar. Nach Ansicht der Metaller-Gewerkschaft böte die vorübergehende Teilzeit hingegen den Unternehmen die Möglichkeit, mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und diese zu Fachkräften zu machen, dadurch also selbst an der Beseitigung des Fachkräftemangels mitzuarbeiten. Insgesamt wäre die (befristete) 28-Stunden-Woche zweifellos ein kostspieliges Vorhaben.

Kritiker fürchten letztendlich eine Schwächung des Standorts Deutschland und eine durch die Abwanderung vieler Aufträge und Produktionsstätten deutscher Unternehmen ins Ausland voranschreitende De-Industrialisierung der Bundesrepublik.

Entwicklung der Wochenarbeitszeit in Deutschland

Sind die Forderungen der IG Metall utopisch? Den meisten scheint es ganz normal, dass unsere Vollzeit-Arbeitsverträge eine Wochenarbeitszeit zwischen 35 und 40 Stunden vorsehen. Doch das war nicht immer so. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich in Sachen Arbeitszeit viel getan. Und immer war jemand erforderlich, der die Ansagen der Arbeitgeber in Frage stellte und eigene Forderungen formulierte. In diesem Kontext ist ein Blick auf die historische Entwicklung der Wochenarbeitszeit in Deutschland interessant.

Mussten Arbeiter in der Blüte der deutschen Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch täglich und im Wochenschnitt für 82 Stunden arbeiten, setze sich um 1900 die 6-Tage-Woche mit 60 Wochenstunden durch. Nach Ende des ersten Weltkriegs wurde durch die Einführung des 8-Stunden-Tags die Arbeitszeit pro Woche auf 48 Stunden reduziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der zwischenzeitlich wieder zu längeren Arbeitszeiten führte, und den ersten Jahren des Wiederaufbaus mehren sich mit fortschreitendem Wirtschaftswunder die Stimmen nach mehr freier Zeit für die Familie. Ab Mitte der 1950er-Jahre kämpfen Gewerkschaften unter dem Slogan „Samstags gehört Vati mir“ für die Einführung der 5-Tage-Woche. Nachdem ab 1959 erste Branchen den Samstag frei bekommen, dauert es in der Metallindustrie bis 1967 bis die 5-Tage-Woche mit 40 Wochenstunden durchgesetzt ist.

Ab Mitte der 1970er-Jahre fordert die IG Metall die Einführung der 35-Stunden-Woche, auch, um die aufgrund der zunehmenden Automatisierung immer weniger werdende Arbeit auf möglichst viele Menschen zu verteilen. Die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite verlaufen aber lange ergebnislos, so dass 1984 besonders in Baden-Württemberg und Hessen an vielen Orten und lang gestreikt wird. Nachdem auch dies keinen Erfolg bringt, wird ein neutraler Schlichter eingesetzt, der einen Kompromiss erarbeitet, der im Nachhinein als der Einstieg in die 35-Stunden-Woche gesehen werden kann. Zunächst wird die Wochenarbeitszeit auf 38,5 Stunden reduziert, im Gegenzug erhalten die Arbeitgeber mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung dieser Arbeitszeit. In den Folgejahren sinkt die tariflich festgelegte Wochenarbeitszeit nach und nach, bis sie 1995 in Westdeutschland bei der aus Gewerkschaftssicht lang ersehnten 35-Stunden-Woche angelangt ist. Eine Errungenschaft, die im Laufe der Jahrzehnte durch zahlreiche Streiks erkämpft wurde, in der Praxis aber durch viele Überstunden häufig nicht zur Anwendung kommt.

Was wird noch gefordert?

Eine weitere zentrale Forderung, die in der Diskussion um die 28-Stunden-Woche fast ein bisschen untergeht, ist eine Lohnerhöhung um 6 Prozent. Die scheint aufgrund der guten wirtschaftlichen Situation der Branche nachvollziehbar und möglich, wird aber traditionell von Arbeitgeberseite wohl noch nach unten gehandelt werden. Des Weiteren verlangt die IG Metall, dass sich die Arbeitgeberverbände dazu verpflichten, über eine Angleichung der Arbeitszeiten und Entlohnungen in den ostdeutschen Bundesländern ans Westniveau zu verhandeln. Die abschließende Forderung nach einem zusätzlichen bezahlten freien Tag für Auszubildende und duale Studenten vor Prüfungen, scheint insgesamt noch die geringste Herausforderung zu sein.

Was letztendlich in der Tarifrunde herauskommt und ob eine mögliche Regelung zur befristeten 28-Stunden-Woche mit Umkehr-Garantie auch für den gesamten Arbeitsmarkt richtungsweisend sein kann, werden wir sehen. Positiv ist aber definitiv, dass durch die Forderungen der IG Metall ein gesamtgesellschaftlich wichtiges Thema mehr in den öffentlichen Fokus rückt. Denn nicht wenige anerkannte Ökonomen und Soziologen vertreten die Ansicht, dass sich aufgrund des Wandels unserer Arbeitswelten und der damit zusammenhängenden Digitalisierung die Arbeitszeitmodelle in naher Zukunft ändern müssen und ändern werden – damit es auch weiterhin für möglichst viele Menschen Arbeit gibt, die das eigene Leben und das der Familie finanzieren kann und gleichzeitig den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird.

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Quellen:

Arbeitgeberverband Gesamtmetall
Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz
IG Metall
Spiegel Online
Zeit Online