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Mindestlohn für Azubis – mehr Gehalt und Motivation, weniger Ausbildungsplätze?

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Eine junge Handwerkerin mit Werkzeuggürtel hält erfreut ein Portemonnaie in die Höhe.

Am 1. Januar 2020 ist es soweit: In Deutschland wird erstmals auch für Auszubildende eine Lohnuntergrenze eingeführt. Ab diesem Datum beträgt der monatliche Mindestlohn für neu startende Azubis 515 Euro. Neu ist das Thema Mindestlohn in Deutschland allerdings nur für Azubis, für andere Arbeitnehmer gibt es ihn bereits seit einigen Jahren. Das Mindestlohngesetz wurde 2014 in Deutschland verabschiedet und kam 2015 erstmals zur Anwendung. Zu Beginn lag der Mindestlohn bei 8,50 Euro pro Zeitstunde, wurde in den folgenden Jahren aber schrittweise erhöht. Mittlerweile wurde der gesetzliche Mindestlohn um 8,12 Prozent gesteigert, liegt damit aktuell bei 9,19 Euro und wird im Jahr 2020 auf 9,35 Euro pro Stunde steigen.

Für Azubis gilt dieses Mindestlohngesetzt jedoch nicht. Auszubildende haben – gemäß Paragraf 17 des Berufsbildungsgesetzes – in der dualen Berufsausbildung einen rechtlichen Anspruch auf eine angemessene und jährlich steigende Vergütung. Was jedoch als „angemessen“ definiert wird, liegt allein bei den Ausbildungsbetrieben, wenn diese nicht tariflich gebunden sind. So kommt es vor, dass ein Koch in Hessen während seiner Ausbildung im ersten Lehrjahr 770 Euro verdient, während ein Kochlehrling in Sachsen-Anhalt mit lediglich 460 Euro vergütet wird.  

Die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek von der CDU will mit ihrem Gesetztesentwurf den Lohndiskrepanzen in der Ausbildungsvergütung entgegenwirken. Politik, Gewerkschaften und Ausbildungsbetriebe sind sich jedoch alles andere als einig: Während einige Stimmen das Fortbestehen kleinerer Betriebe in Gefahr sehen, finden andere die Mindestlohnuntergrenze noch nicht hoch genug. Welche Argumente für und welche gegen die Einführung des Mindestlohns für Auszubildende sprechen und wer sich in Zukunft auf mehr Gehalt freuen kann, zeigen wir in diesem Artikel.

Grundlegendes zur Ausbildungsvergütung

Die derzeitige tarifliche Ausbildungsvergütung liegt im Schnitt bei 908 Euro brutto im Monat. Dabei sind die Spannen jedoch extrem: Während einige Azubis mit 310 Euro im ersten Lehrjahr vergütet werden, beziehen andere bereits über 1.000 Euro. Die Ausbildungsvergütung hat nach dem Gesetz drei Funktionen: Zum einen entlohnt sie die Auszubildenden für ihre produktive Arbeit im Betrieb. Zum anderen soll sie einen Teil der Lebenshaltungskosten decken. Zudem sollen durch die Vergütung Anreize für den potenziellen Nachwuchs geschaffen werden. Betrachtet man diese Funktionen, ist es fraglich, ob man mit einem Bruttomonatslohn von unter 500 Euro seine Lebenshaltungskosten decken kann und sich für die geleistete Arbeit wertgeschätzt fühlt.

Wissenswertes rund um den Azubi-Mindestlohn

Genau diese Fragen stellte sich auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek. Am 15.05.2019 beschloss das Kabinett, dass Auszubildende ab dem Jahr 2020 mit mindestens 515 Euro im Monat entlohnt werden sollen. Die Mindestausbildungsvergütung (MAV), umgangssprachlich auch als Azubi-Mindestlohn bezeichnet, war geboren. Die im Berufsbildungsgesetz verankerte Regelung geht jedoch noch einen Schritt weiter und erhöht den festgelegten Mindestlohn schrittweise. 2021 soll der Mindestsatz 550 Euro betragen, 2022 dann 585 Euro und 2023 ganze 620 Euro. Die Beträge beziehen sich dabei auf die Vergütung im ersten Lehrjahr. Entsprechend werden die Mindestsätze im zweiten, dritten und möglichen vierten Lehrjahr gestaffelt: Ausgehend von der Vergütung für das erste Lehrjahr steigt der Mindestlohn im zweiten um 18 Prozent, im dritten um 35 Prozent und im vierten Ausbildungsjahr um 40 Prozent.

Durch das neue Gesetz gibt es erstmals eine Lohnuntergrenze für Azubis. Jedoch ist das Gesetz mit Einschränkungen verbunden. Die Lohnuntergrenze gilt nämlich nur für jene, die ab dem 1. Januar 2020 einen Ausbildungsvertrag abschließen. Azubis, die vor diesem Datum einen Vertrag unterschrieben haben, profitieren nicht von der Änderung. Darüber hinaus gilt die Regelung nicht für Betriebe, die an Tarifverträge gebunden sind. Es gilt: Tarifvertrag vor Gesetz. In den meisten Fällen ist die Vergütung tariflich gebundener Betriebe oberhalb der Lohnuntergrenze. Vereinzelt gibt es aber auch Tarifverträge, die mit ihren Regelungen unterhalb des neuen Mindestlohns bleiben. Ob der neue Mindestlohn damit wirklich noch ein Mindestlohn ist, kann durchaus infrage gestellt werden.

Seit 2017 besteht die Regelung, dass Ausbildungsvergütungen in nicht-tarifgebundenen Betrieben maximal 20 Prozent unter dem Tariflohn der entsprechenden Branche liegen dürfen. Die Höhe der tarifgebundenen Ausbildungslöhne kann sich dabei enorm zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen und Regionen unterscheiden.

Wie groß die Spannen aktuell zwischen einzelnen Ausbildungsberufen sind, zeigen beispielhaft die folgenden Zahlen: Dabei wird jeweils das durchschnittliche Monatsbruttogehalt im ersten Lehrjahr betrachtet:

Hier verdienen Auszubildende verhältnismäßig sehr gut:

Berufe unterhalb der zukünftigen Mindestlohngrenze:

Durch die neue Regelung werden zukünftig rund 10.000 neu beginnende Auszubildende mehr Gehalt bekommen. Nach einer Hochrechnung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) müssen rund 11 Prozent aller Betriebe in Deutschland ihren neuen Auszubildenden ab 2020 mehr Lohn zahlen. Da der Mindestlohn jährlich erhöht wird, wird nach aktuellem Stand bereits im Jahr 2023 jeder dritte Betrieb seinen Lohn für neue Lehrlinge anpassen müssen.

Was man sich von der Gehaltsuntergrenze für Azubis erhofft

Durch den Azubi-Mindestlohn soll den Dumpinglöhnen für Auszubildende entgegengewirkt werden. Laut der Bundesagentur für Arbeit bekommen derzeit über 115.000 Auszubildende in Deutschland weniger als 500 Euro im Monat. Auch Monatsgehälter unter 400 Euro sind in einigen Branchen und Regionen leider keine Seltenheit. Eine höhere und angemessenere Bezahlung soll die Leistungen, die die Azubis täglich erbringen, mehr anerkennen. Durch eine höhere und fairere Bezahlung soll zudem die Arbeitsmotivation gestärkt werden.

Gewerkschaften wie ver.di oder IG Bau geht das neue Gesetz noch nicht weit genug: Sie begrüßen die Einführung eines Mindestlohns, kritisieren aber die zu niedrige Höhe der Untergrenze und fordern Nachbesserungen.

Kritik und Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Mindestlohn für Azubis

Neben den vielen Befürwortern aus Politik, Gewerkschaftsreihen und Wirtschaft gibt es auch einige Stimmen, die sich gegen den Mindestlohn für Azubis aussprechen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) kritisiert das neue Gesetz stark und sieht unter anderem die Betriebsautonomie der einzelnen Handwerksbetriebe in Gefahr.

Darüber hinaus wird befürchtet, dass das Gesetz vor allem kleine Handwerksbetriebe sowie Betriebe in strukturschwachen Regionen extrem belasten wird. Die Motivation, Ausbildungsplätze anzubieten, könne dadurch sinken. Vor allem Betriebe im Osten Deutschlands könnten es mit dem Mindestlohngesetz schwer haben. Denn hier müssten die Gehälter vielerorts deutlich stärker steigen als im Westen, um der neuen Regelung zu genügen. Die Unterschiede zwischen den aktuellen Ausbildungsvergütungen in Ost- und Westdeutschland macht folgende Tabelle deutlich:

Tarifliche Ausbildungsvergütung im ersten Lehrjahr, Vergleich Ost/West:

Ausbildungsberuf

Ø Monatlicher Lohn in Ostdeutschland im 1. Lehrjahr

Ø Monatlicher Lohn in Westdeutschland im 1. Lehrjahr

Buchhändler/-in

594 €

818 €

Fachkraft für Schutz und Sicherheit

500 €

690 €

Feinwerkmechaniker/-in

526 €

716 €

Fleischer/-in

310 €

688 €

Friseur/-in

325 €

498 €

Metallbauer/-in

526 €

715 €

Raumausstatter/-in

480 €

498 € 

Speditionskaufmann/-frau

614 €

798 €

Fazit: Stärken, Schwächen und Chancen des Mindestlohngesetzes

Nach Angaben des Bildungsberichts 2018 bricht jeder vierte Auszubildende seine Ausbildung ab. Besonders hoch sind die Abbrecherquoten im Gastgewerbe und im Lebensmittelhandwerk. Die Gründe dafür liegen nicht direkt auf der Hand – liegt es an der Betreuung, den Inhalten, der Motivation oder am Gehalt? Zumindest den letzten beiden Punkten könnte mit dem Mindestlohngesetz entgegengewirkt werden, da die Ausbildung vor allem in Betrieben, in denen besonders wenig Lohn gezahlt wird, häufig abgebrochen wird. Da es heutzutage viele offene Ausbildungsstellen gibt, ist die Hürde häufig niedrig, von einem schlecht bezahlten zu einem besser bezahlten Ausbildungsberuf zu wechseln. Durch eine einheitliche Untergrenze, mit der die Lebenshaltungskosten zu einem großen Teil gedeckt werden können, könnte die Fluktuation verringert werden. Darüber hinaus kann ein höheres Gehalt motivieren, produktiver zu arbeiten. Dass Tarifverträge jedoch unterhalb des Mindestlohns bleiben dürfen scheint absurd und stellt die Wirksamkeit eines solchen Mindestlohngesetztes infrage. Gerade von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelte Tarife sollten doch gewährleisten, dass Arbeitnehmer fair bezahlt werden.

Gegner des Mindestlohngesetzes befürchten, dass das Gesetz den regionalen Kaufkraftunterschieden nicht gerecht werden kann. Sie argumentieren, dass vor allem kleine Firmen den Mindestlohn nicht bezahlen können und dadurch in Zukunft weniger Ausbildungsplätze anbieten werden. Jedoch lässt sich dieses Argument mit der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 entkräften. Auch damals wurde viel protestiert und der Teufel an die Wand gemalt. Das Ergebnis: Die Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen und auch die kleineren Firmen und Betriebe mussten nicht reihenweise schließen.

Wie erwähnt, liegen aktuell vor allem in den neuen Bundesländern die Löhne unterhalb der beschlossenen Mindestlohngrenze. Dies verstärkt die sowieso ausgeprägte Abwanderung der Jugend von Ost- nach Westdeutschland. Auch wenn es kleine Betriebe schwer haben werden, den Mindestlohn in Zukunft zu zahlen, wird das Fortbestehen dieser Betriebe durch den Mindestlohn möglicherweise sogar wahrscheinlicher, da kleine Betriebe ohne Nachwuchs erst recht schlechte Überlebenschancen haben. Die Abwanderung junger Menschen aufgrund extrem geringer Ausbildungsvergütungen könnte somit zumindest reduziert werden.

Quellen:

AZUBIYO

BIBB-Datenreport 2019

SPD

Süddeutsche Zeitung

T3n

Tagesschau

Wirtschaftswoche

Zeit